Claudia Uhr Rechtsanwalt Nürnberg
01.08.2012

BSG: Verordnungen und Prüfpflicht

In seinem Urteil vom 27.10.2009 hat sich das Bundessozialgericht zur Prüfpflicht von Therapeuten hinsichtlich ärztlich verordneter physiotherapeutischer Leistungen geäußert.

Zu Grunde lag folgender Sachverhalt:

Die AOK Baden-Württemberg hatte einer Physiotherapeutin die Zahlung eines Rezeptes verweigert, da es nicht den Heilmittelrichtlinien (HMR) entsprechend ausgestellt war. Das BSG urteilte nun, dass die AOK zu Recht die Zahlung verweigert habe, da für Therapeuten eine umfassende Prüfpflicht hinsichtlich der Konformität sowohl in formeller als auch in materieller (inhaltlicher) Hinsicht mit den HMR bestünde. Diese umfassende Prüfpflicht ergebe sich zum einen aus den HMR selbst; darüber hinaus leitete das BSG eine umfassende Prüfpflicht auch aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des §12 SGB V her. Dieses begründe eine eigenständige Verantwortung auch des Heilmittelerbringers, für die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Heilmittelerbringung zu sorgen. Da seine Leistung durch die ärztliche Verordnung veranlasst wird, habe er diese Verordnung auf aus seiner professionellen Sicht erkennbare Fehler und Vollständigkeit zu überprüfen.
Folge ist, dass die Krankenkasse Rezepte, die nicht den HMR entsprechend ausgestellt sind, nicht zu erstatten brauchen. Gültig ist hiernach ein Rezept nur, wenn es sämtliche Angaben enthält, die in § 13 Absatz 2 HMR aufgeführt sind wie beispielsweise Art der Verordnung, Hausbesuch, Therapiebericht, Verordnungsmenge, Heilmittel, Frequenz, Indikationsschlüssel, konkrete Diagnose und Leitsymptomatik. Gemäß § 16 HMR darf eine Behandlung erst beginnen, wenn auf dem Verordnungsvordruck die in § 13 Absatz 2 HMR erforderlichen Angaben enthalten sind. Führt also ein Physiotherapeut eine Leistung durch und ist zum Beispiel der Indikationsschlüssel durch den Arzt nicht korrekt  angeführt worden, so hat er keinen Anspruch auf Vergütung seiner erbrachten Leistung durch die Krankenkasse. Durch diese strikten Regelungen der bundesweit geltenden HMR aus dem Jahre 2011 steigt in letzter Zeit die Zahl der beanstandeten und nicht vergüteten Verordnungen stetig an. Durch das Urteil des BSG wird nun die Rechtsauffassung der AOK gestärkt, so dass zu erwarten ist, dass diese künftig jegliche Erstattung nicht heilmittelrichtlinienkonformer Rezepte pauschal mit dem Hinweis auf genanntes Urteil ablehnen wird.
Nach Ansicht der Verfasserin bleibt es jedoch auch nach dem Urteil des BSG fraglich, ob eine derartige pauschale Ablehnung von Rezepten, die nicht den HMR entsprechen gerechtfertigt ist. Die HMR werden sehr ungleich umgesetzt. Insoweit sind auch unbedingt die regionalen (hier als die bayerischen) Rahmenverträge der Krankenkassen zu berücksichtigen. Diese bilden den konkreten Maßstab der Prüfpflicht. So finden sich im Rahmenvertrag der AOK Bayern, des BKK Landesverband Bayern, der Knappschaft und der SIGNAL IDUNA IKK Bayern mit dem Verband Physikalische Therapie, dem Physiotherapieverband der Selbständigen, dem Deutschen Verband der Physiotherapie und dem Bundesverband selbständiger Physiotherapeuten vom 01.07.1976 in der Fassung vom 01.07.2010 folgende Regelungen:

Gemäß § 4 Absatz 2 dieses Rahmenvertrages scheitert eine Abrechnung nicht daran, dass ggf. einzelne Verordnungsangaben zueinander medizinisch nicht plausibel sind. Auch sind die dort aufgeführten Angaben wie Diagnose, Leitsymptomatik, Art der Verordnung, Menge, Therapieziel, Indikationsschlüssel, Frequenz, medizinische Begründung, ggf. Hausbesuch, ggf. Gruppentherapie und ggf. späterer Behandlungsbeginn als SOLL-Angaben ausgestaltet, d.h. diese Angaben SOLLEN zu Beginn der Behandlung auf dem Rezept stehen. Ein SOLLEN ist kein MÜSSEN und dementsprechend anders zu werten. Auch heißt es dort (in Auszügen) weiter: „ Wenn die die Verordnung nicht den die Heilmittelerbringer betreffenden Vorgaben der Heilmittelrichtlinie entspricht, ist diese spätestens vor der Abrechnung mit dem verordnenden Vertragsarzt abzustimmen. Der Vertragsarzt hat die Möglichkeit, die Verordnung nach Maßgabe der Heilmittelrichtlinie mit Angabe des Datums, Stempel und erneuter Unterschrift zu ändern.

Ist der Indikationsschlüsse unvollständig oder fehlt dieser bei der vom Vertragsarzt angegebenen Diagnose mit Leitsymptomatik, so kann das entsprechende Feld auf der vertragsärztlichen Verordnung vom Zugelassenen ausgefüllt werden…“

Diese Vorschriften eröffnen also sehr wohl eine Korrekturmöglichkeit nach den HMR fehlerhaft ausgestellter Verordnungen und sie können somit auch – nach erfolgter Korrektur – noch vergütet werden, selbst wenn die Behandlung mit einem „inkorrekten“ Rezept begonnen wurde.
Es bleibt abzuwarten, wie bayerische Gerichte angesichts dieses Widerspruches zwischen der Rechtsprechung des BSG einerseits und dem bayerischen Rahmenvertrag der AOK mit den Physiotherapeutischen Berufsverbänden andererseits entscheiden werden. Der vom BSG entschiedene Fall fand in Baden-Württemberg statt und dieses beurteilte dementsprechend den baden-württembergischen Rahmenvertrag. Nichts desto trotz bleibt  auch in Bayern der Widerspruch zwischen einer aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V abgeleiteten umfassenden Prüfpflicht einerseits und den weniger restriktiven und Korrekturmöglichkeiten eröffnenden Regelungen des bayerischen Rahmenvertrages andererseits bestehen.

(mitgeteilt von Rechtsanwältin Sabine Weigand, UHR Rechtsanwälte, Nürnberg - weigand@uhr-rechtsanwalt.de)