Claudia Uhr Rechtsanwalt Nürnberg
26.06.2017

BAG: Verwertung von Beweisen, Observation bei Arbeitsunfähigkeit

Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei (vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK) kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa der § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ergeben. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG gegebenen Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93, BVerfGE 117, 202) hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 18; 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 23, BAGE 156, 370; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - Rn. 67, BVerfGE 120, 378; 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 ua. - zu C II 1 a der Gründe, BVerfGE 65, 1).
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bb) Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nichtöffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG in diese Rechtspositionen zulässig sind. Sie ordnen für sich genommen jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften (BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 17; 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 22, BAGE 156, 370). Ist allerdings die Datenverarbeitung gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor.
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cc) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, bei der Observation des Klägers durch einen Detektiv im Juni 2015 im Auftrag der Beklagten habe es sich um Datenerhebung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 7, § 32 Abs. 2 BDSG gehandelt (vgl. BAG 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 - Rn. 23). Durch die Überwachung wurden in für die Beklagte bestimmten Observationsberichten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Klägers iSd. § 3 Abs. 1 BDSG beschafft (§ 3 Abs. 3 BDSG). Auf eine automatisierte Verarbeitung der Angaben oder einen Dateibezug iSd. § 1 Abs. 2 Nr. 3 bzw. § 27 Abs. 1 BDSG kommt es nach § 32 Abs. 2 BDSG bei der Datenerhebung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses nicht an.
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dd) In der Datenerhebung durch die Observation lag zugleich ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Betroffen ist sein von Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes informationelles Selbstbestimmungsrecht. Ein von einer verdeckten Überwachung Betroffener wird in der Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden, beschränkt, indem er zum Ziel einer nicht erkennbaren systematischen Beobachtung durch einen Dritten gemacht wird und dadurch auf sich beziehbare Daten über sein Verhalten preisgibt, ohne den mit der Beobachtung verfolgten Verwendungszweck zu kennen. Dies gilt unabhängig davon, ob Fotos, Videoaufzeichnungen oder Tonmitschnitte angefertigt werden und damit zugleich ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild bzw. Wort vorliegt. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt auch nicht notwendig voraus, dass die Privatsphäre des Betroffenen ausgespäht wird (unklar BVerwG 21. März 1986 - 7 C 71/83 - zu 1 a der Gründe, BVerwGE 74, 115). Zwar muss der Einzelne außerhalb des thematisch und räumlich besonders geschützten Bereichs der Privatsphäre damit rechnen, Gegenstand von Wahrnehmungen beliebiger Dritter zu werden, grundsätzlich aber nicht, Ziel einer verdeckten und systematischen Beobachtung zur Beschaffung konkreter, auf die eigene Person bezogener Daten zu sein (für die automatisierte Erhebung öffentlich zugänglicher Informationen vgl. BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - Rn. 67, BVerfGE 120, 378). Im Streitfall erfolgte die Überwachung in diesem Sinne verdeckt, weil der Kläger infolge der Legendierung des Detektivs als Fahrer einer Kundenfirma nicht erkennen konnte, wem gegenüber und damit zu vermutlich welchem Verwendungszweck er sein Verhalten im Betrieb der Firma M offenbarte.
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ee) Unzutreffend ist allerdings die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine anlassbezogene Datenerhebung durch den Arbeitgeber könne ausschließlich nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig sein (ebenso Brink juris-PR-ArbR 36/2016 Anm. 2; unklar Gola/Schomerus BDSG 12. Aufl. § 32 Rn. 40 f.). Es kann daher dahinstehen, ob das Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums eine im Beschäftigungsverhältnis begangene Straftat im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG darstellen kann. Selbst wenn das Landesarbeitsgericht dies zu Recht verneint hätte, durfte es mit der von ihm gegebenen Begründung die von der Beklagten angebotenen Beweismittel in Bezug auf ihren Sachvortrag zur Tätigkeit des Klägers für die Firma M am 3. Juni 2015 nicht für unverwertbar halten. Erfolgt die Datenerhebung nicht zur Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG, kommt vielmehr eine Zulässigkeit der Maßnahme nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in Betracht. Dient die Datenerhebung weder der Aufdeckung von Straftaten iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG noch sonstigen Zwecken des Beschäftigungsverhältnisses iSd. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG, kann sie überdies „zur Wahrung berechtigter Interessen“ iSd. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG zulässig sein. Insoweit wird § 28 BDSG von § 32 BDSG nicht verdrängt (BT-Drs. 16/13657 S. 20 f.; Gola/Schomerus BDSG 12. Aufl. § 32 Rn. 2, 45 f.).
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(1) Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses ua. dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Durchführung gehört die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt (Gola/Schomerus BDSG 12. Aufl. § 32 Rn. 16; Grimm JM 2016, 17, 19), zur Beendigung im Sinne der Kündigungsvorbereitung (dazu Grimm aaO) die Aufdeckung einer Pflichtverletzung, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Der Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG enthält keine Einschränkung, es müsse der Verdacht einer im Beschäftigungsverhältnis verübten Straftat bestehen. Sofern nach § 32 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 BDSG zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG auch verarbeitet und genutzt werden (vgl. BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 40; 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 37 f.). Der Begriff der Beendigung umfasst dabei die Abwicklung eines Beschäftigungsverhältnisses (BT-Drs. 16/13657 S. 21). Der Arbeitgeber darf deshalb alle Daten speichern und verwenden, die er zur Erfüllung der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast in einem potentiellen Kündigungsschutzprozess benötigt (Stamer/Kuhnke in Plath BDSG 2. Aufl. § 32 Rn. 149; HWK/Lembke 7. Aufl. § 32 BDSG Rn. 15).
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(2) § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG erlaubt die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung in den Fällen, in denen - unabhängig von den in § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG näher bestimmten Zwecken - Anhaltspunkte für den Verdacht einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat bestehen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Maßnahmen zur Aufdeckung einer Straftat in der Regel besonders intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen (BT-Drs. 16/13657 S. 21). Dies ist insbesondere bei einer zu diesem Zweck erfolgenden (verdeckten) Überwachung von Beschäftigten der Fall, weshalb die - von der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen - restriktiven Grundsätze der hierzu ergangenen Rechtsprechung in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gesondert kodifiziert wurden. Die Vorschrift soll hinsichtlich der Eingriffsintensität damit vergleichbare Maßnahmen erfassen (BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 75, BAGE 151, 1).
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(3) Eine „Sperrwirkung“ des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gegenüber der Erlaubnisnorm in Satz 1 der Bestimmung in Fällen, in denen der Arbeitgeber „nur“ einen - auf Tatsachen gestützten und ausreichend konkreten - Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers hat, nicht aber den einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat, lässt sich weder aus dem Wortlaut von § 32 Abs. 1 BDSG, noch seiner Systematik oder seinem Sinn und Zweck bzw. der Gesetzeshistorie ableiten. Die Gesetzesbegründung macht vielmehr deutlich, dass eine solche Sperrwirkung weder gewollt war noch mit den kollidierenden Interessen des Arbeitgebers im Einklang stünde (ebenso ErfK/Franzen 17. Aufl. § 32 BDSG Rn. 31, der allerdings unmittelbar § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG auch für den Fall vergleichbarer Verdachtsfälle für anwendbar hält; wohl auch Kempter/Steinat DB 2016, 2415, 2416 f.).
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(a) § 32 BDSG sollte nach dem Willen des Gesetzgebers die von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses BT-Drs. 16/13657 S. 20; BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 22; 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 75, BAGE 151, 1). Es handelt sich um kein „ausgereiftes“ Gesetz (ErfK/Franzen 17. Aufl. § 32 BDSG Rn. 31; HWK/Lembke 7. Aufl. § 32 BDSG Rn. 1 spricht von einem „Musterbeispiel symbolischer Gesetzgebung“). Ein umfassendes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz sollte weder entbehrlich gemacht noch inhaltlich präjudiziert werden, so dass zunächst nur eine Kodifikation der Rechtsprechungsgrundsätze erfolgte (BT-Drs. 16/13657 S. 20; für eine Auslegung des Gesetzes im Zweifel entsprechend dem vorgefundenen Rechtszustand auch HK-ArbR/Hilbrans 3. Aufl. § 32 BDSG Rn. 1). Nach den demgemäß in § 32 BDSG zusammengefassten Rechtsprechungsgrundsätzen sind aber - sofern weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Überwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist - Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer durch bspw. eine verdeckte (Video-)Überwachung nicht nur dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung besteht, sondern ebenso bei einem entsprechenden Verdacht einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356). Dabei muss sich der Verdacht in Bezug auf die konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Diese Rechtsprechung steht mit Art. 8 Abs. 1 EMRK im Einklang (EGMR 5. Oktober 2010 - 420/07 - EuGRZ 2011, 471).
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(b) Die verdeckte Überwachung eines einer schweren Pflichtverletzung verdächtigen Arbeitnehmers ist demnach nur unter den vergleichbaren Voraussetzungen zulässig wie zur Aufdeckung einer Straftat (aA wohl Grimm JM 2016, 17, 19). Soweit der Gesetzgeber in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG lediglich den Fall der Aufdeckung von Straftaten gesondert neben dem Grunderlaubnistatbestand des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG geregelt hat, sollte damit jedoch keine Änderung der Rechtsprechungsgrundsätze verbunden sein. Das verlangt und ermöglicht einen „Rückgriff“ auf die Grundnorm des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG, sofern es nicht um die Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG geht. Da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ebenso dort verankert ist, sind die Rechtsprechungsgrundsätze betreffend die Zulässigkeit einer verdeckten Überwachung zur Aufdeckung des konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung auch im Rahmen dieser Erlaubnisnorm zur Anwendung zu bringen (für die Anwendbarkeit von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG bei der Aufdeckung sonstiger Pflichtverletzungen auch Thüsing NZA 2009, 865, 868; Grimm JM 2016, 17, 20; ebenso für die heimliche Überwachung durch Detektive Seifert in Simitis BDSG 8. Aufl. § 32 Rn. 100; aA Brink juris-PR-ArbR 36/2016 Anm. 2).
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(aa) Eine Datenerhebung zur Aufklärung des (konkreten) Verdachts einer schweren Pflichtverletzung erfolgt „für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses“ iSd. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG. Die Bestimmung kodifiziert ebenso wie Satz 2 der Norm die von der Rechtsprechung aus dem verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteten allgemeinen Grundsätze zum Datenschutz im Beschäftigungsverhältnis (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 29; BT-Drs. 16/13657 S. 21). Dabei nimmt die Gesetzesbegründung zur Konkretisierung des Maßstabs der Erforderlichkeit einer Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Durchführung oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses auf die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Oktober 1986 (- 5 AZR 660/85 - BAGE 53, 226) und 7. September 1995 (- 8 AZR 828/93 - BAGE 81, 15) Bezug. Diesen zufolge dürfe sich der Arbeitgeber bei seinen Beschäftigten nicht nur über Umstände informieren oder Daten verwenden, um seine vertraglichen Pflichten ihnen gegenüber erfüllen zu können, wie zB Pflichten im Zusammenhang mit der Personalverwaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnung, sondern auch, um seine im Zusammenhang mit der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses bestehenden Rechte wahrzunehmen, zB durch Ausübung des Weisungsrechts oder durch Kontrollen der Leistung oder des Verhaltens des Beschäftigten (BT-Drs. 16/13657 aaO). Voraussetzung ist ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung, das aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis herrühren muss. Es muss ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung, seiner sonstigen Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen (BAG 7. September 1995 - 8 AZR 828/93 - zu II 2 c aa der Gründe, aaO). Ein solcher Zusammenhang besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber konkreten Verdachtsmomenten nachgeht, der Arbeitnehmer verletze in schwerwiegender Weise seine arbeitsvertraglichen Pflichten.
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(bb) Der mit einer Datenerhebung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers muss auch im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30; 7. September 1995 - 8 AZR 828/93 - zu II 2 c bb der Gründe, BAGE 81, 15; 22. Oktober 1986 - 5 AZR 660/85 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 53, 226). Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - aaO; 15. April 2014 - 1 ABR 2/13 (B) - Rn. 41, BAGE 148, 26; 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - zu B I 2 d der Gründe, BAGE 111, 173). Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BVerfG 4. April 2006 - 1 BvR 518/02 - zu B I 2 b dd der Gründe, BVerfGE 115, 320; BAG 15. April 2014 - 1 ABR 2/13 (B) - aaO). Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Danach muss im Falle einer der (verdeckten) Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahme zur Aufklärung einer schwerwiegenden, jedoch nicht strafbaren Pflichtverletzung ebenso wie zur Aufdeckung von Straftaten im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, ist auch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG unzulässig.
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(c) Die Gegenansicht, wonach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG immer dann, wenn der Arbeitgeber verdachts- und anlassbezogene Datenverarbeitung vornehme, Zugriffe auf arbeitsrechtliche Verstöße unterhalb der Schwelle von Straftaten sperre und es daher in einer solchen Konstellation verbiete, auf die Befugnisnorm in Satz 1 zurückzugreifen, erschöpft sich in der begründungslosen Behauptung, ein anderes Verständnis widerspreche offensichtlich dem systematischen Verhältnis der beiden Ermächtigungsgrundlagen (so Brink juris-PR-ArbR 36/2016 Anm. 2). Welches mit der juristischen Methodenlehre begründbare systematische Verhältnis der Vorschrift demnach zu Grunde liegen soll, wird nicht ausgeführt. Aus den vorgenannten Gründen liegt indes gerade kein systematischer Widerspruch vor, wenn § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG als lediglich gesondert geregelter Spezialfall im Verhältnis zu Satz 1 der Bestimmung verstanden wird.
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(d) Ein Verständnis von § 32 Abs. 1 BDSG im Sinne der vom Landesarbeitsgericht befürworteten Sperrwirkung des Satzes 2 bei anlassbezogener Datenerhebung wäre nicht mit Unionsrecht vereinbar. Es stünde nicht im Einklang mit Art. 5, Art. 7 Buchst. f der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (RL 95/46/EG - ABl. L 281 vom 23. November 1995 S. 31). § 32 Abs. 1 BDSG ist unionsrechtskonform unter Beachtung der RL 95/46/EG auszulegen, da die Bestimmungen des BDSG deren Umsetzung dienen (Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 153 Rn. 2; Simitis in Simitis BDSG 8. Aufl. Einl. Rn. 89). Wären anlassbezogene Datenerhebungen ausschließlich gem. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zur Aufdeckung von Straftaten zulässig, würden zu den in Art. 7 der RL 95/46/EG genannten zusätzliche Grundsätze eingeführt, was der RL 95/46/EG widerspräche. Art. 7 RL 95/46/EG sieht eine erschöpfende und abschließende Liste der Fälle vor, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist (EuGH 24. November 2011 - C-468/10 und C-469/10 - [ASNEF] Rn. 30, Slg. 2011, I-12181).
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(aa) Die Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts fällt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Nach Art. 3 Abs. 1 RL 95/46/EG gilt diese für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Die Anwendung der RL 95/46/EG ist nicht davon abhängig, ob in dem zu entscheidenden Sachverhalt ein hinreichender Zusammenhang mit der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten oder tatsächlich ein Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten besteht (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 31, BAGE 140, 350). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 3 RL 95/46/EG, der mit Ausnahme des in Abs. 2 bestimmten Bereichs die Verarbeitung personenbezogener Daten dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterwirft (EuGH 20. Mai 2003 - C-465/00 - [Österreichischer Rundfunk ua.] Rn. 39 ff., 44, Slg. 2003, I-4989).
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(bb) Nach Art. 7 Buchst. f RL 95/46/EG darf die Verarbeitung der Daten, wozu nach ihrem Art. 2 Buchst. b RL 95/46/EG die Erhebung und Benutzung gehört, zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erfolgen, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Art. 5 RL 95/46/EG erlaubt den Mitgliedstaaten zwar, nach Maßgabe ihres Kapitels II und damit ihres Art. 7 die Voraussetzungen näher zu bestimmen, unter denen die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist. Doch kann von dem Ermessen, über das die Mitgliedstaaten nach Art. 5 verfügen, nur im Einklang mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel der Wahrung eines Gleichgewichts zwischen dem freien Verkehr personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre Gebrauch gemacht werden. Die Mitgliedstaaten dürfen nach Art. 5 RL 95/46/EG in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten daher keine anderen als die in Art. 7 RL 95/46/EG aufgezählten Grundsätze einführen und auch nicht durch zusätzliche Bedingungen die Tragweite der sechs in Art. 7 RL 95/46/EG vorgesehenen Grundsätze verändern (EuGH 19. Oktober 2016 - C-582/14 - [Breyer] Rn. 57; 24. November 2011 - C-468/10 und C-469/10 - [ASNEF] Rn. 33, 34 und 36). Die RL 95/46/EG sieht damit nicht nur eine Mindest-, sondern eine umfassende Harmonisierung vor (zur Begrifflichkeit EuGH 6. November 2003 - C-101/01 - [Lindqvist] Rn. 96 f., Slg. 2003, I-12971). Die Annahme, eine Datenerhebung zur Aufdeckung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung unterhalb einer Straftat sei generell unzulässig, ohne dass es auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ankomme, stünde damit nicht im Einklang.
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(cc) Zwar gilt die RL 95/46/EG nach ihrem Art. 3 Abs. 1 nur für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Als eine solche Datei mit personenbezogenen Daten gilt jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, gleichgültig ob diese Sammlung zentral, dezentralisiert oder nach funktionalen oder geographischen Gesichtspunkten aufgeteilt geführt wird (Art. 2 Buchst. c RL 95/46/EG). Soweit nach deutschem Recht über § 32 Abs. 2 BDSG der Beschäftigtendatenschutz gem. Absatz 1 der Bestimmung über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus auch dann gilt, wenn es um eine nicht in dieser Weise automatisierte Verarbeitung bzw. nicht in einer Datei gespeicherte Daten geht, ändert dies indes nichts daran, dass § 32 Abs. 1 BDSG ebenso und zuvörderst Sachverhalte im Anwendungsbereich der Richtlinie regelt, und daher nur einheitlich richtlinienkonform ausgelegt werden kann (zur Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen vgl. EuGH 10. Dezember 2009 - C-323/08 - [Rodríguez Mayor ua.] Rn. 27, Slg. 2009, I-11621).
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(e) Umgekehrt entspricht das hier vertretene Verständnis von § 32 Abs. 1 BDSG dem durch die Richtlinie garantierten Schutzniveau für die von einer Datenerhebung Betroffenen. Der Schutz des in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechts auf Privatleben verlangt, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen (EuGH 11. Dezember 2014 - C-212/13 - [RyneÅ¡] Rn. 28). Einschränkungen des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten können gerechtfertigt sein, wenn sie denen entsprechen, die im Rahmen von Art. 8 EMRK geduldet werden (EuGH 9. November 2010 - C-92/09 und C-93/09 - [Volker und Markus Schecke] Rn. 52, Slg. 2010, I-11063; BAG 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 - Rn. 20 f.). Diesen Anforderungen genügt der vom Senat herangezogene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (EGMR 5. Oktober 2010 - 420/07 - EuGRZ 2011, 471).
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ff) Danach kommt im Streitfall, selbst wenn nicht die Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG in Rede gestanden haben sollte, entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts eine Rechtfertigung der durch die Beklagte veranlassten Überwachungsmaßnahme zu Zwecken des Beschäftigungsverhältnisses iSd. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in Betracht. Ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, kann der Senat nicht selbst beurteilen. Dafür bedarf es weiterer Feststellungen.

Auszug aus: BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 29.6.2017, 2 AZR 597/16